Machen digitale Spiele neuerdings süchtig? Das haben vergangenes Jahr jedenfalls einige Medien getitelt (Beispiel). Anlass dafür war die Aufnahme von Computerspielabhängigkeit als Diagnose in das internationale Klassifikationssystem von Krankheiten (ICD). Im Mai 2019 soll das neue ICD-11 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedet werden. Allein der Entwurf sorgte für Aufruhr in den Medien. Der game Verband hält eine offizielle Anerkennung von „Spiele-Sucht“ als Krankheit sogar für gefährlich. In der neuen Podcast-Episode gehen wir die Diagnosekriterien ausführlich durch und besprechen die Vor- und Nachteile der Diagnose.

Kopfbild: Hearthstone / Blizzard | Montage: Benjamin Strobel / Behind the Screens

So entsteht eine Diagnose

Eine neue Diagnose entsteht nicht von selbst. In dieser Podcast-Folge besprechen wir, welche (normativen) Prozesse der Bildung einer Diagnose zugrunde liegen und beleuchten die Vor- und Nachteile, die damit einhergehen. Tatsächlich ist Computerspielabhängigkeit als Diagnose sehr umstritten: Einerseits können Betroffene leichter erfasst werden, während zugleich neue Therapieansätze entwickelt werden können. Andererseits steht die Befürchtung im Raum, dass das Label zu Stigmatisierung von digitalen Spielen und moralischer Panik führen könnte. In der aktuellen Folge streiten wir vortefflich darüber, welche Argumete für uns überwiegen.

Ausschnitt aus Episode 5 des Behind the Screens Podcasts.

Die drei Hauptkriterien der ICD-Diagnose
  • Kontrollverlust über das Spielverhalten. Damit ist beispielsweise gemeint, dass Personen nicht aufhören zu spielen, selbst wenn sie zu einem wichtigen Termin müssen oder dass sie in Kontexten spielen, in denen es völlig unangemessen ist (z.B. während einer Besprechung, im Unterricht oder zuhause beim Essen).
  • Vorrang von Spielen gegenüber anderen Interessen. Hierbei geht es auch um sozialen Rückzug und Abschottung von anderen Personen und Aktivitäten.
  • Eskalation des Spielverhaltens trotz negativer Konsequenzen. Das heißt, Personen spielen weiter oder sogar mehr, auch wenn es dadurch zu Problemen in einem oder mehreren Lebensbereichen kommt – etwa bei der Arbeit, in der Schule, mit der Familie oder mit Freunden – oder gerade auch, wenn das Spielen zu persönlichem Leidensdruck führt.

Für eine Diagnose müssen die Kriterien mindestens über den Zeitraum eines ganzen Jahres bestehen und das persönliche Leben erheblich beeinträchtigen. In diesem Fall ist eine psychologische oder ärztliche Beratung zu empfehlen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass hohe Spielzeiten und Episoden intensiven Spielens nicht mit einer Abhängigkeit gleichzusetzen sind.

TLDR:
  • Wir besprechen Reaktionen auf die neue ICD-Diagnose
  • Wie entsteht überhaupt eine Diagnose?
  • Gemeinsam diskutieren wir die einzelnen Diagnosekriterien
  • Hauptkritieren: Kontrollverlust, Vorrang gegenüber anderen Interessen und Eskalation trotz negativer Konsequenzen
  • Wir spielen ein klinisches Interview durch
  • Beispiel: Hearthstone
  • Welche Vor- und Nachteile hat die Diagnose Computerspielabhängigkeit?
Links zur Folge
In eigener Sache

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Beratungsstellen

Computerspielsucht-Hotline der Uni-Klinik Mainz
Mo bis Do: 08.00 – 16.00 Uhr
Fr: 08.00 – 14.00 Uhr
Tel: 06131 – 17 73 81
verhaltenssucht.de

Bundesweite Sucht- und DrogenHotline
Täglich: 0 – 24 Uhr
Tel: 0 18 05 / 31 30 31
Kostenpflichtig – 0,14 €/min a. d. Festnetz, andere Mobilfunkpreise möglich

BZgA-Info-Telefon
Mo bis Do: 10 – 22 Uhr
Fr bis So: 10 – 18 Uhr
Tel: 02 21 / 89 20 31

Telefonseelsorge
Täglich: 0 – 24 Uhr
Tel: 0 800 111 0 111 oder 0 800 111 0 222 (kostenlos)

Kinder- und Jugendtelefon
Mo bis Sa: 14 – 20 Uhr
Tel: 116 111
https://www.nummergegenkummer.de/

Caritas Deutschland
Online-Beratung

Kreuzbund
Selbsthilfegruppen
https://www.kreuzbund.de/de/

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14 comments on “Computerspielabhängigkeit – Podcast E005

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  1. […] Behind the Screens möchten wir euch diesmal einen Podcast zum Thema Computerspielabhängigkeit näher legen. Ein Vorwurf und Vorurteil, mit dem sicherlich schon einige Spieler konfrontiert […]

  2. […] der psychischen Gesundheit schaden oder nutzen? Immer wieder fallen Stichworte wie “Computerspielabhängigkeit” oder “Toxische Communities“. Andererseits wurden insbesondere zu Beginn der […]

  3. […] Computerspielabhängigkeit – BTS Podcast E005 […]

  4. […] Computerspielabhängigkeit wird in der psychologischen Fachwelt mittlerweile umfassend diskutiert – und ist seit kurzem sogar als Diagnose in das internationale Klassifikationssystem von Krankheiten aufgenommen. In den Medien ist immer wieder von Fortnite-Sucht die Rede. Traditionell aber war das Verhältnis des Spielejournalismus zum Suchtbegriff nicht nur unkritisch, sondern geradezu positiv: macht ein Spiel süchtig, so galt das als Qualitätsmerkmal. Der Beitrag “Diese 13 Handy-Spiele machen dich süchtig” von watson.com ist nicht etwa eine Warnung, sondern eine Kaufempfehlung. Auch auf Gamestar.de wurden noch vor wenigen Jahren Spiele angepriesen, weil sie “süchtig” machen. Auf dieser Grundlage haben wir angenommen, dass wir vor allem in den Fachmedien eine Bewertung des “Suchtpotenzials” vorfinden. Die Liste unserer Suchbegriffe enthielt unter anderem die Terme “Sucht”, “süchtig” und “Krankheit”. […]

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Comments

  1. Stani Jun 29, 2019

    Hallo,

    super Podcast. Ein wirklich ernstes Thema, das heutzutage nicht einfach so ignoriert werden darf.
    Hatte selber so ein ähnliches Problem, wo ich Nur noch ein einziges Spiel gespielt habe. Das war Diablo 3 – damals wo es rausgekommen ist. Bei mir ging es dann so weit, dass ich wegen dem Spiel auch mein Studium nicht abgeschloßen habe, soziale Kontakte abgebrochen habe, andere Aktivitäten nicht mehr wahrgenommen. Dieses Spiel hat mein Leben zerstört. Vor Diablo 3 war ich ein ganz anderer Mensch, danach ging alles bergab. Dieses Spiel hat mein Spielverhalten auf den Kopf gestellt. Davor hab ich nie mehr als einpaar Stunden ein Spiel gespielt. Diablo 3 habe ich über Monate lang dauerhaft bis zu 20 Stunden am stück gesuchtet. Es gab Momente, Tage, wo ich mich einfach für eine Studen hingelegt habe, Wecker gestellt habe und dann wieder weiter gezockt. Es war damals mein Leben. Ich bin nicht mehr in die Vorleseungen gegangen, hab keine Arbeiten mehr geschrieben, keine Leute getroffen, außer im Spiel selbst – da hatte ich schon Leute mit denen ich gespielt habe. Ich war gefüllt 24/7 online und das über Monate. Und ich war nicht der einzige – 100% !
    Solche Spiele machen Menschen kaputt. Und ich bin mir sicher, dass Spieleentwickler das ganz genau wissen, wie man Spieler süchtig macht. Loot hier, Loot dort – hier ein Legendary, dort ein Legendary – alles auch schön RNG mäßig. Damit man ja immer wieder Glückshormone ausgeschüttet bekommt, wenn man was tolles findet. Das ist nichts anderes als Glücksspielautomaten in Spielhallen oder Casinos.

    Es hat sehr lange gedauert, mein Spielverhalten wieder umzustellen.

    Manchmal wünsche ich mir aber trotzdem nochmal solche Gefülle zu haben, wie die die ich damals beim zocken hatte.

    Gruß
    Stani

    Super Seite – macht weiter so. Bin zufällig auf euch gestoßen. Endlich mal keine Mainstreamartikel über Videospiele.

    • Hey Stani!

      Vielen Dank für dein großes Lob! Freue mich sehr, dass es dir gefällt.

      Hoffe es geht dir gut und du hast weiter Spaß am Spielen 🙂

    • Hey Stani,

      vielen Dank für deine große Offenheit und alles Gute im weiteren Umgang!
      Und ich schließe mich dir völlig an: klasse, eine Seite zu finden, die nicht nur Mainstream-Artikel und „wuuuh – action – clickbait – schaut-euch-das-Neuste-an-und-zwar-in-völlig-bunt-und-überdreht* veröffentlicht…

      @Ben und Nicolas: auch an euch noch ein Dankeschön für eure Offenheit und Ehrlichkeit, auch bezüglich „Hardcore-Gaming“-Phasen… 🙂

      Viele Grüße nochmal,
      Jessica

  2. Super differenzierter Beitrag, vielen Dank aus dem Munde einer Kollegin. 🙂
    Ich persönlich finde Diagnosen grundsätzlich an vielen Stellen diskussionswürdig, unter Anderem auch aus den von euch genannten Gründen („Zeitgeist“ etc.). Aus meiner eigenen Praxis kann ich nur sagen, dass bei so ziemlich allen Patienten, denen ich künftig auch eine Gaming-Disorder-Diagnose „verpassen“ könnte, eine andere Diagnose vorrangig besteht. Bei meinen Leuten häufig Borderline, kann aber auch mal eine Depression oder Angststörung sein. Wie man schon sieht, geht es da in erster Linie um Affektregulierung und das ist m.E. einer der ganz großen Punkte, die eine „Abhängigkeit“ auch bedingen können. Und dann geht es eben darum, die Probleme in der Affektregulation zu behandeln…

    Ich habe mir die Diskussion auf dem Gamescom-Kongress zum Thema angehört und war leider ziemlich unzufrieden damit, weil da doch recht undifferenziert diskutiert wurde und in meinen Augen ein ziemliches WHO-Bashing betrieben wurde. War auch keiner da aus dem wirklichen Gesundheitsbereich… (Falls es euch intessiert: hier habe ich eine kurze Zusammenfassung geschrieben: https://tiefengaming.blog/2019/08/25/gamescom-congress-2019-who-has-gaming-disorder-who-bashing-in-seliger-einigkeit/ )

    Die „Auf ein Bier“-Folge muss ich auch noch unbedingt hören, danke fürs Verlinken!

    Viele Grüße,
    Jessica

    • Hey Jessica,

      vielen Dank für deinen Kommentar und für dein Lob zum Podcast. Leider warst du zunächst im Spam-Ordner gelandet, wo ich dich gerade herausgefischt habe.

      Die Diskussion auf dem gamescom congress konnte ich leider nicht besuchen, weil ich da einen anderen Termin hatte. Natürlich schade, dass es relativ einseitig war.

      Beste Grüße von einem Kollegen! 😀

  3. Bjørn Dez 20, 2020

    Sehr guter Beitrag. Ich mag ungern ins bei vielen Themen verbreitete Medienbashing einstimmen und doch ist das ein typisches Thema für Schlagzeilenjournalismus, wie man ihn eigentlich nur im Boulevard erwarten würde, jedoch überall erleben muss. Dass Gamer:innen einen positiven Blick auf Spiele haben und skeptisch sind, wenn es um damit verbundene negative Diagnosen gibt, mag nicht überraschen. Die Auseinandersetzung erfolgt hier allerdings sehr differenziert, wie ich finde. Das sage ich auch als jemand, der zwar sehr gern spielt(e), jedoch seit vielen Jahren infolge eigener Entscheidungen auch deutlich weniger. Und was immer nur betont werden kann: Neue Medien sind gesellschaftlich bisher in irgendeiner Form immer geächtet worden. Das soll echte psychische Probleme nicht kleinreden. Zugleich ist es wichtig, sich auch die Motivation derer anzuschauen, die Spiele diesbezüglich kritisieren wie natürlich immer auch ihre fachlichen Argumente. Auch diesbezüglich hat mir die Folge sehr gut gefallen.