Warum spielen wir dieselben Spiele immer wieder? Und wie verändert sich das Spielen durch die Wiederholung? Die Reihe „Der Wert des Wiederspielens“ widmet sich persönlichen Erfahrungen mit dem Wiederspielen. In diesem Beitrag erzählt Larissa von Red Riding Rouge, warum Dragon Age: Inquisition sie immer wieder ihren Bann zieht – und wie die Vorgänger der Reihe ihr Spielerlebnis noch bereichert haben.

Dragon Age: Inquisition war mein erstes Spiel auf der Playstation 4 und mein erster Dragon-Age-Teil überhaupt. Doch mittlerweile ist das Spiel ein fester Bestandteil meines Gaming-Hobbies.

Wenn ich keine Lust auf neue Spiele oder Herausforderungen habe, starte ich Dragon Age. Dragon Age ist für mich wie nach Hause kommen und die Schuhe ausziehen. Ich muss mich nicht mehr konzentrieren und kann mich auf die Welt einlassen. Ich treffe alte Bekannte und schlachte nebenher ein paar Dämonen ab.

Der erste Kontakt

Zunächst die Ausgangssituation: Wir schreiben Dezember 2015. Ich starte zum ersten Mal Dragon Age: Inquisition und habe keine Ahnung von der Vorgeschichte und der Welt, bin aber begeistert vom Gesamteindruck. Wiederkehrenden Figuren lassen mich zunächst etwas ratlos zurück. So richtig weiß ich nicht, wer das nun ist und warum er so wichtig sein soll. Ich stehe vor einer großen Welt mit riesiger Geschichte und kann mich erstmal austoben.

(Es folgen Spoiler zur Geschichte von Dragon Age: Inquisition)

Mein erster Spieldurchlauf ist recht linear: Manche Geheimnisse habe ich schlicht nicht entdeckt und die Konsequenzen mancher Entscheidungen waren mir (noch) nicht bewusst.

Ein gutes Beispiel hierfür ist die Quest „Hier wartet der Abgrund“. Sie spielt in einer Zwischenwelt, im „Nichts“, und endet damit, dass man einen von zwei Begleitern zurücklassen muss, um einen Dämonen zu bekämpfen. Hier habe ich mich dafür entschieden, Hawke zurückzulassen und damit dem Tode zu weihen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass Hawke der Protagonist aus Dragon Age 2 ist. Ich hatte keinerlei Bezug zu der Figur.

Die Bewohner Thedas’ in ihrer Gänze haben mich aber schnell in ihren Bann gezogen. Dragon Age überzeugt (mich persönlich) mit dreidimensionalen Figuren, die alle verschiedenste Ziele, Überzeugungen, Eigenheiten und Geschichten haben. Das ist für mich nicht nur als „einfache Spielerin“ interessant, sondern auch als Frau, die selbst Geschichten schreibt und immer wieder verschiedene Figuren in Rollenspielen erschafft, beispielsweise als Spielleiterin in einer Pen-and-Paper-Kampagne.

"Hier wartet der Abgrund." | Bild: EA / Bioware
„Hier wartet der Abgrund.“ | Bild: EA / Bioware
Dragon Age und die Liebe

Dragon Age ist, wie viele Bioware-Spiele, dafür bekannt, ein „Romance-Simulator“ zu sein. Die vielen Companions, die an meiner Seite stehen, sind fast alle offen für Romanzen. Dabei ist auch wichtig zu erwähnen, dass verschiedenste Begleiter auch verschiedenste Sexualitäten haben. Es gibt also eine große Bandbreite an LGBTQ+-Figuren.

Der Schwerpunkt auf Romanzen und „awkward Polygon-Sex“ wird in der Gaming-Szene gerne mal belächelt, aber über die Jahre ist mir immer klarer geworden, dass die Diversität von Dragon Age unglaublich wichtig ist und vielen Randgruppen eine Stimme und Möglichkeiten gibt, die es in anderen, sehr heteronormativen Spielen nicht gibt.

„Dass die Figuren nicht alle genormt sind und die unterschiedlichsten Reaktionen und Geschichten haben, ist für mich ein wertvoller Teil des Geschichtenerzählens.“

Die Vielfalt an verschiedenen Persönlichkeiten und ihren Romanzen, die immer eigene kleine Stories und Geheimnisse aufdecken, sind ein entscheidender Grund dafür, warum ich Dragon Age: Inquisition so oft durchgespielt habe. Ich wollte einfach alle meine Begleiter nackt seh–, äh, kennenlernen.

Spaß beiseite: Mir geht es dabei weniger um das Ausleben meiner Vorlieben oder romantischen Fantasien, sondern um das Auserzählen dieser Geschichten. Dass Figuren untereinander Gefühle entwickeln, positive wie negative, trägt für mich zur Immersion bei. Dass eben diese Figuren nicht alle genormt sind und die unterschiedlichsten Reaktionen und Geschichten haben, ist für mich ein wertvoller Teil des Geschichtenerzählens. Ähnlich wie bei den Loyalitäts-Missionen aus der Mass-Effect-Reihe, lernt man die Leute richtig kennen, mit denen man ein Abenteuer bestreitet.

In Romanzen geht es auch immer zur Sache | Bild: EA / Bioware
In Romanzen geht es auch immer zur Sache | Bild: EA / Bioware
Figuren mit eigenen Vorlieben

Meinen ersten Spieldurchlauf habe ich auf Rat einer Freundin als männlicher, menschlicher Magier gestartet und ich habe Dorian als Romanze gewählt. Dorians persönliche Quest besteht unter Anderem darin, seinen homophoben Vater zu konfrontieren, der die Sexualität seines Sohnes verleugnet. Dorian ist dabei übrigens die erste männliche Figur im Dragon-Age-Universum, die ausschließlich Männer liebt. Männliche Begleiter in vorigen Teilen der Reihe waren entweder hetero- oder bisexuell. Auch bei weiblichen Begleitern galt: Reine Homosexualität gab es nicht – was auch zu einiger Kritik aus Fanreihen geführt hat und in Inquisition erstmals Beachtung gefunden hat.

Meines Erachtens sind Figuren, die ihre eigenen Vorlieben haben und nicht für jede Spielfigur automatisch verfügbar sind (egal welches Geschlecht, Klasse oder ob Mensch, Zwerg, Elf, Qunari) wesentlich authentischer. Und als Begleiterin Sera meinen männlichen Protagonisten abblitzen ließ („Your thing is not my thing“), musste ich schon sehr schmunzeln.

Dabei kommt es mir nicht auf irgendwelche Sexszenen an, sondern einfach auf die Möglichkeit, sich auf Figuren noch näher einzulassen. Außerdem finde ich es interessant, dass Sexualität oder mögliche Partner so auch schon bei der Charaktererstellung eine Rolle spielen. Möchte ich einen heterosexuellen Mann spielen? Eine bisexuelle Elfin? Für mich ist das eine Inspiration, immer wieder einen neuen Inquisitor zu erstellen, mit anderen Vorlieben, der andere Wege geht.

Sera interessiert sich nur für Frauen | Bild: EA / Bioware
Sera: Interessiert sich nur für Frauen | Bild: EA / Bioware

Schade finde ich allerdings, dass man viel von der Story verpassen würde, ließe man sich auf keinen der Companions ein. Die Romanzen sind auch immer sexuell (manche mehr, manche weniger grafisch). Die Möglichkeit, einen romantisch Interessierten aber beispielsweise asexuellen Charakter zu spielen, gibt es folglich nicht.

Manche Begleiter erzählen auch bei einer engen freundschaftlichen Beziehung ihre Geschichten. Andere Figuren, wie beispielsweise Solas, lernt man eigentlich nur durch eine Romanze richtig kennen. Die Liebe zu Solas ändert sogar die emotionale Gewichtung des letzten Inquisition-DLCs (Eindringling) immens.

Ironischerweise war Solas der allerletzte Begleiter, den ich ‚geromanced‘ habe, da er mir unsympathisch war. Die zusätzlichen Perspektiven und das sehr emotionale Drama konnte ich mir aber nicht entgehen lassen. Und es hat sich gelohnt.

Rückwärts durch die Dragon-Age-Reihe

Wie das so ist bei großen RPGs mit vielen Charakteren, Nebenquests und Möglichkeiten, verpasst man die ersten Male Einiges. Man hat seine Lieblinge und seine Ziele und durch Desinteresse entgehen einem viele Dialoge, sogar ganze Quests.

Also war für mich direkt klar, dass ich einen weiteren Durchlauf starten würde, um mehr von der Story zu erfahren, beziehungsweise sie aus einer anderen Perspektive zu erleben. Dabei war meine Priorität, ein komplett anderes Team um mich zu versammeln, andere Dialogfetzen aufzuschnappen und andere Entscheidungen zu treffen (große Entscheidungen im Spiel wie Templer vs Magier bringen komplett andere Hauptquests mit sich).

Im zweiten Durchlauf spielte ich einen weiblichen Elf. Entsprechend anders reagierte die Umwelt auf mich, denn Elfen sind in der fiktiven Welt von Thedas oftmals Rassismus ausgesetzt.

Nach diesem Run war mein Interesse an der ganzen Reihe geweckt und ich spielte mich quasi rückwärts durch die anderen Teile: Als nächstes war Dragon Age 2 dran.

Hawke in Dragon Age 2 (rechts) | Bild: EA / Bioware
Hawke in Dragon Age 2 (rechts) | Bild: EA / Bioware

Das Spiel wird häufig für sein langweiliges, repetitives Level- und Worldesign kritisiert, leider zu Recht. Dragon Age 2 ist unter extremem Zeitdruck entstanden und das merkt man dem Spiel an. Dungeons sind oft komplett Copy-Paste, was den Drang, das Spiel immer wieder zu spielen extrem mindert. Ich habe den zweiten Teil der Reihe nur zweimal beendet, hier definitiv für zwei Romanzen. Einmal als männlicher Hawke, einmal als weibliche Hawke. Einmal als Magier, einmal als Rogue.

Was Dragon Age 2 an schöner Welt einbüßt, macht es allerdings an Begleitern wieder gut. Es ist derjenige Dragon-Age-Teil, der meine allerliebsten Companions beinhaltet. Varric, Hawkes bester Freund, ist sogar meine liebste Figur des Dragon-Age-Universums.

Der zweite Teil ist aus erzählerischer Sicht sehr spannend. Die ganze Geschichte wird von Varric Tethras, seines Zeichens Oberflächenzwerg und begnadeter Autor, in einem Verhör nacherzählt. Allerdings ist Varric bekannt dafür, ein notorischer Lügner zu sein, der Teile von Hawkes Abenteuer übertrieben ausschmückt und andere gänzlich unterschlägt, um Hawke zu schützen. Wir haben also einen unzuverlässigen Erzähler, was ich für ein unglaublich spannendes Konzept in einem so Story-lastigen Rollenspiel halte. Dadurch war die Figur für mich plötzlich wesentlich interessanter.

Zurück in die Zukunft

Da Varric auch ein Begleiter in Dragon Age: Inquisition ist, musste ich unweigerlich zurück in die Welt des dritten Teils. Denn der Zwerg hatte in meinen ersten beiden Durchläufen kaum Beachtung von mir gefunden. Mit dem Hintergrundwissen aus DA2 spielte ich Inquisition mit anderen Augen auf Varric, Cassandra und Hawke. Und mit neuem Blick auf die Ereignisse, die zum Status Quo des Spiels geführt hatten.

Zwischenzeitlich bekam ich meine Hände dann auch an Dragon Age: Origins, dem ersten und viel gelobten Teil der Reihe und meine Wissenslücken schlossen sich.

„Den dritten Teil der Reihe mit diesem Gefühl des Wissens und einer warmen Nostalgie nochmal zu spielen, lässt sich mit meinem ersten Herantasten an die Welt gar nicht mehr vergleichen.“

Erneut gab es mehr zu entdecken und mehr über Figuren zu lernen, die in Inquisition wieder auftauchen. Leliana, eine Beraterin des Protagonisten in DA:I, ist in Origins eine Begleiterin. Commander Cullen ist in Origins noch ein junger Templer, im Turm des Magierzirkels stationiert, und Alistair und Morrigan tauchen ebenfalls nach vielen Jahren wieder auf.

Den dritten Teil der Reihe mit diesem Gefühl des Wissens und einer warmen Nostalgie nochmal zu spielen, lässt sich mit meinem ersten Herantasten an die Welt gar nicht mehr vergleichen.

Entscheidungen, die ich in den ersten beiden Teilen getroffen habe, wirken sich auf die Gegenwart in Inquisition aus. Plötzlich kommt es mir gar nicht mehr in den Sinn, Hawke an Alptraum-Dämonen zu opfern. Schließlich hatte ich nun selbst als Hawke gespielt und seine bzw. ihre Geschichte miterlebt. Hawke war nicht länger nur ein Name, sondern eine wichtige Person in der Welt von Dragon Age, die mir ans Herz gewachsen war. Tatsächlich ist Hawke sogar mein liebster Protagonist der bisherigen Spiele.

Dragon Age: Inquisition | Bild: EA / Bioware
Dragon Age: Inquisition | Bild: EA / Bioware
Thedas als zweites Zuhause 

An diesem Punkt habe ich Inquisition schon einige Male beendet und doch zieht es mich immer wieder in die Welt, die durch die ersten beiden Teile für mich noch bereichert wurde.

Ich starte einen Run, in welchem ich jedes Objekt sammle, jedes Geheimnis löse und das Spiel auf 100% bringe. Vielleicht kommt da wieder die Geschichternerzählerin und Rollenspielerin in mir durch  –  aber mit jedem Neustart entstehen neue Geschichten in meinem Kopf:

„So wird Dragon Age jedesmal ein neues Spiel für mich. Und gleichzeitig betrete ich jedes Mal bekanntes Terrain. Ich kenne mich schon aus, in der Welt, kenne ihre Geheimnisse.“

Wenn ich eine elfische Jägerin erstelle, die mit Doppeldolchen kämpft, dann erschaffe ich keinen Avatar, sondern einen eigenen Charakter. Sie hat Narben im Gesicht, da sie keine Fernkämpferin ist und gibt in Dialogen schroffere Antworten, als eine sanftmütige Gelehrte. Sie trifft andere Entscheidungen und sammelt andere Begleiter um sich.

So wird Dragon Age jedesmal ein neues Spiel für mich. Und gleichzeitig betrete ich jedes Mal bekanntes Terrain. Ich kenne mich schon aus, in der Welt, kenne ihre Geheimnisse. Ich kann selbst entscheiden, ob ich mich darauf einlasse oder sehr linear von Quest zu Quest steuere.

Angefangen hat das Ganze als Neugier auf eine große Welt und ihre Figuren. Verlagert hat sich das zu einer warmen Nostalgie und dem Gefühl nach Hause zu kommen, wenn ich den Titelbildschirm sehe.

600 Stunden – und ich zähle noch

Mittlerweile habe ich fast 600 Stunden in Dragon Age: Inquisition. Nach einigen Monaten ertappe ich mich trotzdem wieder dabei, wie ich neustarte.

Ich habe mittlerweile zwei Freundinnen dabei begleitet, die eine Figur auf meiner Playstation erstellt haben und sich selbst in die Welt verliebt haben. Es ist schön zu sehen, wie eine neue Spielerin die bekannte Welt wahrnimmt, welche Figuren sie anspricht und welche Entscheidungen sie trifft.

Kann ich meinen Freundinnen sagen, dass sie vorne an dem Fels kurz links müssen, um eine Kiste zu bergen und daneben noch eine Elfenwurzel finden?

Absolut. Und ich liebe es.

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2 comments on “Dragon Age ist wie nach Hause kommen

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  1. […] zu spielen. Mitunter beginnen wir, uns unter die warme Decke der Spielwelt zu kuscheln und uns dort wie zuhause zu fühlen. Oder wir finden widrige Spielumstände vor, die uns herausfordern, sie zu brechen. Aber eines ist […]

  2. […] Es hat mich mal wieder gepackt und nachdem ich im Juni Dragon Age Origins (mal wieder) durchgespielt hatte, hatte ich (mal wieder) das Bedürfnis auch den zweiten Teil der Reihe noch einmal zu spielen. Passend zum Thema Dragon Age und warum ich die Spiele so gerne immer wieder spiele, ist ein Gastartikel von mir bei Behind The Screens erschienen: Dragon Age ist wie nach Hause kommen! […]

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