Warum spielen wir dieselben Spiele immer wieder? Und wie verändert sich das Spielen durch die Wiederholung? Die Reihe „Der Wert des Wiederspielens“ widmet sich persönlichen Erfahrungen mit dem Wiederspielen. In diesem Beitrag beschreibt Eugen Pfister (Hochschule der Künste Bern) seine Erfahrungen vom Wiederspielen für die Wissenschaft.

Bild: The Last of Us Remastered, Naughty Dog/Sony

In meiner Erfahrung gibt es mehrere Gründe zum “wiederspielen“. Zum einen gibt es Spiele, die ich aus purer Nostalgie noch einmal spiele: Das sind vor allem Adventures von Sierra und LucasArts aus den späten 1980er und frühen 1990er Jahren. King’s Quest III, das erste Spiel, das ich als das „meine“ bezeichnet hatte, auch wenn es nur vier oder fünf Dateien im Ordner „KQ3“ auf der Festplattenpartition C:/ waren.

Bald gab es noch Space Quest 2 und Indiana Jones and the Last Crusade. Als Kind habe ich Stunden mit diesen Spielen verbracht, ohne nennenswert weiter zu kommen. In KQ3 bin ich zwar hunderte verschiedene Tode gestorben, das verborgene Labor von Manannan habe ich aber erst mit einem Walkthrough aus dem Internet in den 2000er Jahren gefunden. 

Hier zeigen sich recht deutlich die Gründe für einen zweiten Spieldurchlauf: Zum einen war (und ist) der nostalgische Versuch, eine verklärte Kindheit wieder zu erwecken, schließlich zum Scheitern verurteilt. Es macht trotzdem glücklich. So wie das Durchblättern von Fotoalben glücklich macht. Es weckt Erinnerungen, lang vergangene Gefühle werden zumindest im Ansatz zurück an die Oberfläche geholt.

Wiederspielen für die Wissenschaft

Ein anderer Grund für mich, Spiele ein zweites Mal zu spielen, ist da weitaus prosaischer: Arbeit. Im Rahmen meines SNF-Ambizione Projekts „Horror-Game-Politics“ hatte ich gemeinsam mit Arno Görgen von 2018 bis 2022 ein Sample von Horrorspielen aus den 2010er Jahren in Hinblick auf ideologische Aussagen analysiert. Darunter befanden sich – notgedrungen – auch einige Spiele, die ich zuvor bereits gespielt hatte. Ich sage notgedrungen, weil, um einen Projektantrag schreiben zu können, bereits eine solide Basis an persönlicher Forschung existieren muss, um abschätzen zu können, welche Forschungshypothesen erfolgversprechend scheinen. Konkret: Ich musste bereits im Vorfeld des Projekts abschätzen können, wie realistisch es ist, in 30-50 Horrorspielen auf ideologische Aussagen zu treffen.  So kommt es, dass drei meiner Fallstudien für das Forschungsprojekt de facto mein zweiter Spieldurchlauf waren: Alan Wake, The Last of Us und Bioshock 2.

Alan Wake | Bild: Remedy Entertainment
Alan Wake | Bild: Remedy Entertainment

Der zweite Spieldurchlauf im beruflichen Rahmen war für mich eine sehr interessante Erfahrung. Grundsätzlich wäre es sehr zu empfehlen, alle Spiele, die man untersucht, mindestens zweimal zu spielen. Bei einer großen Stichprobe an Spielen sowie bei Spielzeiten von ca. 11 bis 16 Stunden ist das Vorhaben aber oft illusorisch. Doch zurück zu meinen Eindrücken: Naturgemäß war es zunächst einmal ein Wiedersehen mit schönen Erinnerungen. Auch war ich gespannt, ob sich meine persönliche Meinung zum Spiel geändert hat, was grundsätzlich nicht der Fall war. Zwar sah ich einige Aspekte mittlerweile kritischer, dafür konnte ich andere aufgrund ausführlicher Recherchen besser einordnen.

Neues Hintergrundwissen hatte meinen Blick für Aspekte der Spiele geschärft, die vormals recht unbemerkt an mir vorüber gegangen waren.

Gedächtnis-Hürden

Am spannendsten aber war, dass der erste Spieldurchlauf für mich jeweils lang genug zurücklag, um mir abermals viele Überraschungsmomente beim Spielen zu bescheren. Es war interessant zu beobachten, was ich in zehn Jahren alles vergessen hatte. Der grobe Plot und die Enden  waren jeweils noch recht gut in meiner Erinnerung verankert, sowie allgemein die Grundstimmung(en). Überrascht war ich aber davon, dass ich durchaus einige zentrale Plot-Elemente vergessen hatte. Die tragische Geschichte des Bruderpaars Henry und Sam in The Last of Us, die Geschichte vom „Clicker“ in Alan Wake, die Figur Augustus Sinclairs in Bioshock 2. Manche virtuellen Orte hatte ich vergessen – Pittsburgh in The Last of Us, das Level im Städtchen in Bright Falls in Alan Wake, oder sie waren in meiner Erinnerung mit anderen virtuellen Orten verschmolzen, oder waren in der Geographie und Chronologie des erlebten Spiels umher gewandert. Die Spielmechanik wiederum war noch tief in meinem Körpergedächtnis gespeichert. Das galt für alle drei Spiele, auch und besonders in Hinblick auf Eigenheiten im Gameplay, wie etwa die Taschenlampe in Alan Wake oder der Einsatz von Plasmiden in Bioshock 2

Henry und Sam | Bild: The Last of Us Remastered, Naughty Dog
Henry und Sam | Bild: The Last of Us Remastered, Naughty Dog

Diese Feststellungen rufen mir zum einen die bislang unbemerkten Auswahlprozesse meines Gedächtnisses ins Bewusstsein. Sie waren zugleich auch für meine Forschung sehr relevant, ging es mir doch um die Frage nach der Funktion und Wirkung politischer Kommunikation in digitalen Spielen. Noch allgemeiner ging es um die Frage von Wissenstransfers in digitalen Spielen. Dass solche grundsätzlich beim Spielen stattfinden, ist in der Forschung mittlerweile unwidersprochen, so weit ich das einschätzen kann. Die Frage des Wie ist aber nach wie vor nicht geklärt, vor allem wenn diese Transfers – wie meistens – unbewusst geschehen. 

Das Handeln wird erinnert, der Grund geht verloren

Nun ist es so, dass wir davon ausgehen können, dass Spiele wie auch andere Medien nicht einfach so unsere Weltbilder verändern können. Der französische Psychosoziologe Jean-Noel Kapferer entwickelte Ende der 1970er Jahre das Model der „Überzeugungs-Wege“. Damit wir einen Inhalt eines Spiels verinnerlichen, müssen viele Hürden überwunden werden, sozusagen natürliche Schutzmechanismen, die unsere Identität beschützen. Eine dieser Hürden ist, dass wir uns an das Gelernte „erinnern“ müssen. Erst danach entscheiden wir, ob wir den Inhalt auch „glauben“ und wenn ja, ob wir unser Handeln zukünftig entsprechend anpassen wollen. Und hier hat mir meine eigene Erfahrung recht deutlich gezeigt, wie selektiv mein Gedächtnis vorgeht. Gewisse Grundaussagen des Narrativs blieben, viele Details aber und die damit in Verbindung stehenden ideologischen Aussagen verschwanden. Ich versuche in meinen Schlussfolgerungen sehr vorsichtig zu sein. Ich bin kein ausgebildeter Psychologe, und die eigene Erfahrung ist eine furchtbar unzuverlässige Quelle für Historiker:innen. Trotzdem bin ich dankbar für das Erlebnis, weil es mir unter anderem gezeigt hat, wie schlecht ich mir mitunter Narrative von Spielen, selbst bei Spielen mit elaborierten Geschichten merken kann, während das Gameplay noch immer tief in meinem Körper zu stecken scheint. Zugespitzt geht der Grund für das Handeln mit der Zeit verloren, während das Handeln erinnert wird.

Mit aller Vorsicht versuche ich also, das als Hinweis zu nehmen, meine einstudierte Tendenz dazu, mich auf die erzählerische Oberfläche zu konzentrieren, weiterhin zu hinterfragen und mich zu zwingen, dem Gameplay, den Regeln, vor allem aber dem performativen Aspekt des Spielens noch mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Diese kommunizieren nämlich im gleichen Ausmaß ideologische Aussagen wie die Erzählung und Dialoge eines Spiels. Eine unerwartete, aber wichtige Erkenntnis meines akademischen Wiederspielens.

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